Die Gestalterin

02.09.2025
Architektur
Design
Alexandra Keller
Nina Mair gestaltet Lebenswelten und Lebensdinge mit feinem Auge, viel Gespür für Raum und Licht, federleichtem Witz sowie einer Portion Wagemut bei der Wahl der Formen und Materialien. Die Innsbrucker Architektin und Produktdesignerin überrascht und überzeugt mit ihrer Designhandschrift weit über die Tiroler Landesgrenzen hinaus. Sie ist Artur Zelger-Preisträgerin 2025. Zurecht.

Das Atelier in der Innsbrucker Innstraße ist ein wunderbar lebendiger Ort. Warum das so ist, ist nicht einfach in Worte zu fassen. Vielleicht, weil das Gemäuer im ältesten Stadtteil Innsbrucks zeigt, welch‘ ewiger Charme in guter Architektur zu stecken vermag. Vielleicht, weil schon der Innenhof erstaunt und ein bisschen vorgaukelt, irgendwo in Italien zu sein. Vielleicht, weil in dieser Kreativfabrik mit Funktionen derart kunstvoll jongliert wird, dass die rasche Einordnung in bereitstehende Kopf-Schubladen nicht möglich ist. Die verfliesten Wände erinnern daran, dass die Seifenfabrik Walde hier von 1777 bis 2010 Seifen produzierte. Im hohen Regal zeugen säuberlich Abgelegtes, Bücher und Kataloge von ordentlicher Geschäftigkeit. Auf dem Regal ganz oben erfüllen unterschiedlich geschwungene Wasserhähne sicher nie ihren Sinn oder Zweck. Der lange, überaus wagemutig aus Beton gegossene Tisch täuscht mit seiner drei Zentimeter dicken Tischplatte auf freche Weise Leichtigkeit vor. Und am hinteren Ende des Raumes hängt eine Leuchte, die ganz unmittelbar ein Kopfkino in Gang setzt. Dicke Wollstränge zu einem Lampenschirm gestrickt. An Omas selbstgestrickte Wollmützen erinnernd. An Winter in den Alpen. Warm. Einladend. Granny heißt die Leuchte.

unsereins: Was hat es denn mit Granny auf sich?

Nina Mair: Die Granny, die wir als Pudelskern entworfen haben, war der Einstieg in die internationale Designszene.

unsereins: Pudelskern war der Name des Designtrios, in dem du mit Georg Öhler und Horst Philipp zusammengearbeitet hast…

Nina: …ja, wir haben sechs Jahre zusammen gearbeitet und das Produkt, das zum ersten mal internationale Aufmerksamkeit bekommen hat, war eben die Leuchte Granny, die aus Tiroler Bergschafwolle gestrickt ist. Sie ist immer noch im Sortiment von Casamania und wird nach wie vor vertrieben. Sie hätte das Potenzial für einen Klassiker würde ich sagen.

unsereins: Ab wann ist ein Designprodukt ein Klassiker?

Nina: Ich weiß nicht, wie lange ein Produkt am Markt sein muss, um als Klassiker bezeichnet zu werden. Ein Klassiker bedeutet für mich zeitlose Gestaltung die über unterschiedliche Moden hinaus Bestand hat. Und ich habe das Gefühl Granny hat Bestand, weil die Form sehr schlicht ist. Das Produkt lebt von der Materialität und ja, sie verkauft sich nach wie vor sehr gut.

Unter den Mustern und Entwürfen auch die Leuchte "Granny", rechts oben im Bild.

Nachdem ein Pudelskern-Mitglied nach London ging, löste sich das Designkollektiv auf und auch Nina Mair ging ihren eigenen Weg. Einen recht außergewöhnlichen. Seit 2012 firmiert und brilliert sie mit dem Designstudio, das schlicht Nina Mair Architecture + Design heißt und recht trefflich die Klammer ihres Schaffensspektrums beschreibt. Eine große Klammer ist das. Sie reicht von Einfamilien-Häusern über Geschäftslokale, Arbeits-Räume, Hospitality-Orte, Unternehmens-Sitze oder Aufenthalts-Plätze hin zu Design-Produkten für den Alltag, den schönen. „Wir sind spezialisiert auf Gestaltung mit Naturmaterialien, arbeiten seit 18 Jahren in dem Bereich und haben mittlerweile über 120 Projekte für Kunden realisiert – international und lokal“, sagt Nina.

Tja, mit dieser Beschreibung macht sie klar, warum es schwer ist, eine beispielhafte Auswahl ihrer Designs zu treffen. Die Badewanne Shell aus in allerfeinster Handarbeit bearbeitetem, gehobeltem und geöltem Walnussholz ist unbedingt ein optisches wie haptisches Highlight und die Möbelkollektion Bernard ist es nicht minder. Ein elfenhaftes Augenzwinkern blitzt beim Bartrolley Porter durch und in die Spiegel der Serie Cypris blickt es sich um einen entscheidenden Tick feiner. Die Kreationen von Nina und ihrem Team lösen nicht nur bei auf Besonderes fixierten Ästhetinnen oder Ästheten ein Habenwollen aus. Nein. Möbel- oder Produktdesign ist ebensowenig Selbstzweck wie das gefühlvolle Gestalten von Räumen oder Gebäuden. Mag es Nina auch immer wieder gelingen, Alltägliches neu zu erfinden, so bleibt die Funktion ein wesentliches, weil sinnstiftendes Element ihrer Arbeiten.

 

unsereins: Würdest du dich als neugierig bezeichnen?

Nina: Ja, absolut. Diese Neugier ist unerschöpflich – und der Wissensdurst, wie die Dinge gemacht werden. Ich fordere meinem Mann ab und zu beim Spazierengehen etwas Geduld ab, wenn ich von einem Bauzaun nicht wegkomme, weil ich wissen will, wie da was gemacht wird.

unsereins: Der Bauernhof deiner Großeltern war eine wichtige Spielwiese für dich. Warum?

Nina: Ich bin ja in Innsbruck geboren, aber meine Großeltern hatten  eine Bauernschaft im Bregenzerwald – mit Hochalm. Die Sommer der Kindheit habe ich dort verbracht und ich habe es geliebt, weil man mit der Sonne aufsteht und schlafen geht, den Rhythmus der Natur übernimmt, weil man ganz nah an den Tieren und an der Natur dran ist. Was ausschlaggebend war, dass ich dort gelernt habe, dass man Dinge selbst reparieren kann. Man hat keine Scheu davor, selbst Hand anzulegen und Dinge wieder zum Funktionieren zu bringen. Was ja bedeutet, dass man sie meist auseinanderlegt, um die einzelnen Komponenten zu verstehen, Teile ersetzt oder repariert und sie dann wieder zusammenbaut. Das ist auch eine Methode von uns – im Produktdesign – dass wir als erstes immer versuchen, zu verstehen, wie funktionieren die Dinge bisher und wo kann man sie verbessern und optimieren.

unsereins: Deine Naturnähe und dein technischer Kopf wurden auf dem Bauernhof geprägt. Wie wurde denn deine Kreativität gekitzelt? Kannst du dich daran erinnern?

Nina: Es gibt gar nicht so den einen konkreten Moment, wo ich das Gefühl gehabt habe, jetzt weiß ich, was ich machen will. Ich habe von klein auf immer schon gebastelt und gewerkelt und gezeichnet und habe immer das Bild von mir in der Zukunft gehabt, Gestalterin zu sein. Ich bin dann zur Architektur gekommen, weil wir in Innsbruck eine tolle Architektur-Uni haben.

Naturmaterialien spielen eine zentrale Rolle im Produktdesign von Nina Mair.

Die Mischung aus Technischem und Kreativem, die Nina an der Innsbrucker Uni begeisterte, wurde im Rahmen ihres Auslandsjahres in Florenz weiter befeuert. An der Accademia di Belle Arti belegte sie beispielsweise einen Bildhauerkurs und versuchte schwer atmend aus dem Marmor eine Form zu hauen. Sie fotografierte und schnupperte in alle möglichen Disziplinen. „Ich habe auch Tennis gespielt  – in einem alteingesessenen Verein – und tolle Freunde kennengelernt“, erzählt sie. Ihrem ziemlich guten Tennisspiel – fast hätte Nina eine Profisportkarriere gestartet – verdankt sie einerseits ein großes Durchhaltevermögen sowie den unbedingten Glauben an sich selbst – bis zum letzten Punkt quasi. Ihrer Zeit im italienischen Club verdankt sie aber auch eine enge Verbundenheit zur Florentiner Kultur und den Menschen, die seither zu ihrem Leben gehören. Einem Leben, dessen Mittelpunkt Innsbruck geblieben ist.

Wie im Kleinen, so im Großen. Vieles wird im Vorfeld im Atelier ausprobiert - wie zum Beispiel das Weben.

unsereins: Dass du trotz deines internationalen Erfolgsweges immer noch in Innsbruck lebst, ist auf den ersten Blick erstaunlich. Warum nicht Mailand oder Köln?

Nina: Innsbruck hat für mich eine wahnsinnig hohe Lebensqualität. Ich bin von meiner Wohnungstür in fünf Minuten im Wald, das ist etwas, das ich nicht missen möchte. Es erdet mich auch. Ich habe das Gefühl, dadurch dass wir jetzt so vernetzt sind, spielt es keine große Rolle, ob wir in Mailand, New York oder sonstwo unseren Sitz haben. Man kann sich eh überallhin vernetzen.

unsereins: Apropos Netzwerk. Dein regionales Netzwerk etwa an Handwerker:innen oder Produzent:innen der Materialien, die du verwendest, ist groß. Wie kam es zustande?

Nina: Das hat wahrscheinlich auch mit meiner Neugier zu tun. Wir haben so tolle Handwerksbetriebe in Tirol. Es ist immer spannend, in Werkstätten zu schauen, wie Materialien verwendet werden. Da kann es sein, dass man Inspiration bei einem Hutmacher, der über Dampf einen Filz verformt, findet, oder beim Goldschmied, aber dann auch bei den naheliegenden – wie den Teppichwebern, den Tischlern. Da gibt es so viele tolle Betriebe, die für mich wahnsinnig inspirierend sind.

Der lebendige, offene und vermeintliche Grenzen schlicht ignorierende oder sprengende Umgang mit Materialien prägt die Handschrift der Innsbruckerin. Für das 007 Elements Museum am Gaislachkogel hat sie mit ihrem Team beispielsweise die Akustikvorhänge entwickelt, die zwischen den Ausstellungsräumen platziert wurden. „Aus Schafwolle – also einem Textil, das gestrickt und verfilzt wird und eine besondere akustische Eigenschaft hat, den Schall vom einen auf den anderen Ausstellungsraum nicht zu übertragen“, erklärt Nina.

In der Airport-Lounge am Innsbrucker Flughafen kann man regelrecht durch ihre Welten mäandern und in den unterschiedlichen Aufenthaltsräumen für die unterschiedlichsten Bedürfnisse mit allen Sinnen erleben, was sie kann. Nina: „Wir versuchen ganz stark auf den Ort einzugehen und haben für die Airport-Lounge mit heimischen Materialien – wie der Höttinger Breccie, Schafwolle, unterschiedlichen heimischen Hölzern gearbeitet, um dieses Raumgefühl lokal aber zeitgenössisch zu erzeugen. Ein wichtiger Bestandteil im Raum war die Bepflanzung und das ist mittlerweile ein richtiger Dschungel, was ich sehr schön finde.“ Das ist es auch. Nicht minder beeindruckend ist, dass in beziehungsweise mit der Lounge innerhalb eines Jahres der Return on Investment geschafft wurde. „Ich bin schon auch ein Mensch, der die Zahlen gerne gut im Griff hat. Wir kalkulieren sehr genau. Ich sehe es als meine Verantwortung als Gestalterin, dass die Dinge nicht nur schön sind, sondern wirtschaftlich funktionieren“, sagt sie.

Der Erfolg der Innsbrucker Gestalterin hat viele Wurzeln und ihre Arbeiten wurden auch schon mit zahlreichen internationalen Design-Awards gewürdigt. Dass sie Preisträgerin des Artur Zelger-Preises für gute Gestaltung 2025 ist, freut sie aber ganz besonders. Gut gestalten. Ja, das kann sie.

Weitere Informationen: Nina Mair
Video: Jakob Strassl,
Vidoschnitt: Jonathan Schmid
Fotos: Jakob Strassl, Christina Schwemberger

Alexandra Keller

ist freie Journalistin und Autorin. Sie lebt und arbeitet in Innsbruck.