Tirol und die Musik. Was für eine Liebschaft. Täglich darf sie miterlebt werden.
Tirol und die Musik. Was für eine Liebschaft. Täglich darf sie miterlebt werden. Klein oder groß, fein oder wild, neu oder alt, in Dur oder in Moll. Mit Holz, mit Blech, mit Saiten, mit Stimmen, mit Hämmern – oder Bässen, tief wie der Achensee, und Tönen, hoch wie die Wildpitze. Land auf, Land ab gibt es unzählige Einladungen, um dieser Liebschaft beizuwohnen und hemmungslos Ohrenzeugen ihrer Höhepunkte zu sein. Unzählige gibt es - und es gibt die Festwochen der Alten Musik.
Wenn wilde Furien wüten, amouröse Verwicklungen an die Dramaturgie modernster Sitcoms erinnern, frivolste Reime erklingen, und Jungstars aus aller Welt um die Wette singen, muss das Wort alt unweigerlich von einem Posaunenstoß weggefegt und durchdringend entstaubt werden.
„Da geht einem das Herz auf“, bringt die so vielseitige wie ruhelose britische Choreografin und Regisseurin Jean Renshaw etwa die finale Wirkung der Barockoper „Boris Goudunow“ auf den Punkt. 2021 hat sie dieses Werk für die Festwochen der Alten Musik inszeniert und zu den offenkundig stets gültigen, für Dramen so verführerischen Triebfedern menschlicher Handlungsmaxime festgehalten: „Die Charaktere lügen immer. Alpha- und Betatiere liegen im Wettstreit. Bis auf einige Opfer wissen alle Bescheid, dass sich eine neue Regentschaft anbahnt, also tun sie alles, um auch danach so gut wie möglich dazustehen.“ Alt? Nie!
Ob Frühbarock, Hochbarock oder Spätbarock - in Barock steckt das Wort „Rock“ und das beschreibt schon eher, was im Rahmen der Festwochen passiert. Die Rockstars dieses Musikstils kommen nach Innsbruck, um die Besucher:innen mit historischen Instrumenten auf historischen Bühnen zu einer Zeitreise einzuladen, die in jeder Hinsicht einzigartig ist. Geschichte kann gelernt, Historisches betrachtet und mit ein wenig Phantasie auch das Leben der vergangenen Zeiten nachvollzogen werden. Den Künstler:innen aber, die in den Festwochen der Alten Musik die Alpenstadt in einen furiosen Klangkörper verwandeln, gelingt es, mit einem mächtigen Defibrillator das Herz vergangener Epochen wiederzubeleben.
Zum ersten Mal gehört, haben die Beatles ihre Fans reihenweise in Ohnmacht fallen lassen. Nicht viel anders war es, als die Menschen erstmals Werke von Händel, Bach, Monteverdi, Telemann, Vivali, Mozart und all ihren begnadeten Zeitgenossen hörten. Eng geschnürte Mieder mögen das ihre dazu beigetragen haben, wenn die Damen des Hofes plötzlich den Halt verloren, doch löste die Musik und lösten die Stars kollektives Luftanhalten aus. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts entwickelte sich Innsbruck zu einer führenden Opernmetropole und übertrumpfte Wien, die Metropole des Habsburgerreiches, leichtfüßig. Das Aussterben der Tiroler Habsburgerlinie ließ die großen barocken Klänge dann sukzessive verstummen und schlummern. Bis, ja bis sie knapp 250 Jahre später wiederentdeckt wurden - wiederentdeckt und aufgeweckt.