100% fünfzehn

Wissenschaft
August 13, 2023
Die Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) in Innsbruck ist nicht nur die größte wissenschaftliche Bibliothek Westösterreichs. Der Sammelauftrag des Landes macht sie zum dynamischen, literarischen Gedächtnis Tirols. Analog und digital zugänglich für alle.
Null Staub. Der Moment des Eintretens ist sehr speziell. Draußen – am Innrain – dominierte der urbane Geräuschpegel – eine Mischung aus vorbeifahrenden Fahrzeugen, geschäftig dahineilenden Menschen und mal ernst mal entspannt wirkenden, auch laut lachenden Studierenden. Und hier? Nichts. Ein Hüsteln, ein Rascheln, ein Flüstern – das war’s. „Der historische Lesesaal ist die stille Kammer bei uns“, sagt Christian Kössler. Als Öffentlichkeitsarbeiter für die Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) kennt er diese Stille gut und weiß auch, wie und wen sie lockt. Im großen, seit dem Neubau vom Innrain bis zum Inn reichenden Bibliotheksareal stehen über 1.150 Arbeitsplätze zur Verfügung – für Wissenschaftler:innen und Studierende genauso wie für alle, die einen ruhigen Platz zum Lesen oder zum Lernen suchen. „Wir haben eine für Österreich einzigartige Doppelfunktion – sind Universitäts- und Landesbibliothek. Das ist ein ganz tolles Merkmal, eine große Stärke, die mir extrem gut gefällt“, gerät Christian Kössler ins Schwärmen. Zurecht, befeuert die Funktion als Gedächtnis des Landes Tirol doch eine ganz andere Dynamik.

Alles in und über Tirol Gedruckte wird gesammelt und den Interessierten zur Verfügung gestellt. Der Tirolensien-Bestand zählt rund 180.000 Exemplare – vom Kochbuch über die Rumer Mullerzeitung hin zu prachtvollen Handschriften, die richtig viele Jahrhunderte auf dem Bücherbuckel haben. Der Sammelauftrag und die Offenheit nach außen waren schon immer Programm. Die Bibliothek wurde am 22. Mai 1745 von Maria Theresia - zu Nutz, Trost und Qualifizierung der getreuesten Untertanen – ausdrücklich als öffentliche Bibliothek gegründet, wodurch von Anfang an dem Verstauben entgegengewirkt und das Entstehen heiliger Hallen verhindert wurde.
Ein bisschen heilig Anmutendes beherbergt die Bibliothek aber trotzdem. Die Liederhandschrift Oskar von Wolkensteins aus dem Jahr 1432 etwa, die selbstverständlich unter perfekten Bedingungen und fernab des leisen Trubels wie ein Schatz gehütet wird. Dass das Original des spätmittelalterlichen Tiroler Multitalents mit dem stets geschlossenen rechten Auge aber trotzdem immer und überall durchgeblättert werden kann, ist der Digitalisierung zu verdanken. „Auf der Plattform manuscripta.at poppen regelmäßig neue Digitalisate auf. So kann dieses Kulturerbe öffentlich zugänglich gemacht werden“, beschreibt Christian Kössler eine epochale Zeitenwende für die Bibliothek und die Möglichkeiten, Wissen regelrecht grassieren und Geschichte wie Geschichten wirken zu lassen. Unter den rund 3,6 Millionen in der ULB gehüteten Büchern taucht auch immer wieder Überraschendes auf. So wurde im Jahr 2005 ein rund 700 Jahre alter Pergamentcodex entdeckt, der die Welt des römisch-deutschen Kaisers Friedrich II. und seines Sohnes Konrad IV. neu beleuchtet und belebt.

Allzu leicht kann man sich in der ULB in diesen Geschichten verlieren, führt doch Konrad IV. beispielsweise recht flott zu Meinhard II. und damit zu einem Ur-Vater des Landes Tirol, das im historischen Lesesaal in all seiner literarischen Pracht greifbar ist. Die Bücherwände sind mit derart viel Tirolensien gespickt, dass sich das Auge gar nicht satt sehen kann und ein leises „wow“ unweigerlich die feine Geräuschpalette in der stillen Kammer ergänzt.

Universitäts- und Landesbibliothek

Universität Innsbruck